Der gute Geist:
Aber was ist denn nun der gute Geist der Evangelischen Jugend? Gibt
es überhaupt - einen guten Geist? Ich werde in dieser Rede geschichtlich
vorgehen und vorerst bei den Anfängen suchen, um mich sodann durch
die Jahrzehnte zu arbeiten.
Zu erst einmal muss ich eine Zeit festlegen, ab wann man eigentlich
von der Evangelischen Jugendarbeit Schwerins sprechen kann; ich lege dieses
Datum - vielleicht etwas willkürlich und sicher nicht in Unkenntnis
darüber, dass es auch schon vor dieser Zeit kirchliche Arbeit mit
jungen Menschen gegeben hat - auf das
Jahr 1946 fest. Der damalige Bischof,
Niclot Beste, berief Pastor Friedrich Franz Wellingerhof als Landesjugendpastor
in die Mecklenburgische Landeskirche; alle nannte ihn später, und
wohl auch aus Sicherheitsgründen gegenüber Staat und Schule,
nur mit den Initialen: "PW" = Pastor Wellingerhof. Er hatte bereits
als Theologiestudent vor dem Krieg einen Jugendkreis geleitet und
war für die Aufbauarbeit wie geschaffen. Schon damals wurde die Jugendarbeit
der Kirche misstrauisch vom Staat und den Besatzungsbehörden beäugt
und es hat sich das schöne Zitat eines sowjetischen Kommandanten erhalten,
der bei einem Verhör von PW sagte: "Du sollst mit Jungen beten, nicht
baden!"
Die Frau von PW erzählte einmal: "Zunächst war der Schwerpunkt
seiner Arbeit in Schwerin. Er bat die Pastoren dort, in den Konfirmandenstunden
zum Jugendkreis einladen zu dürfen und hatte bald mehrere Gruppen
der 12-14jährigen, machte offene Abende für ältere Jugendliche,
Kreise für konfirmierte Jungen (Mädchen wurden in fast jeder
Gemeinde von Gemeindehelferinnen des Burckhardthauses gesammelt), er übte
Laienspiele ein und fasste alle Schweriner Jugendarbeit in der Monatsrüste
zusammen, die an jedem 1. des Monats um 19:00 Uhr stattfand." An den Wochenenden
fuhr PW mit den Jugendlichen auf die Dörfer hinaus; es gab dort Jugendsonntage
und die Landgemeinden wurden so ermuntert, eigene Jugendkreise zu gründen.
In Orten wie z. B. Dobbertin, Pampow, Retgendorf, Serrahn und Graal-Müritz
wurden die ersten Rüstzeiten unter sehr spartanischen Bedingungen
durchgeführt. Wer diese ersten Rüsten erlebt und mitgemacht hat,
kann stundenlang spannende Geschichten erzählen. Viele Pastoren und
kirchliche Mitarbeiter sind aus diesen Anfängen der Jugendarbeit hervorgegangen
und haben auf Anregung von PW mit dem Theologiestudium oder der Diakonenausbildung
begonnen. Ob nun bewusst oder mehr der damaligen Struktur des getrennt
agierenden Jugendmännerwerkes und der evangelischen Mädchenarbeit
geschuldet, - die ersten evangelischen Jugendgruppen in Schwerin waren
zumeist Mädchen- bzw. Jungenkreise: Es war z. B. die Jungschararbeit,
die mit PW und seinen ersten Mitarbeitern in das Land getragen wurde. Jungeschar
- heute ein altertümliches Wort - war die Jungenarbeit mit 9 bis 13Jährigen;
sie war auf die Bedürfnisse und das geschlechtspezifische Erleben
von Jungen ausgerichtet. Ich selbst bin auf diesem Wege 1965 durch die
Jungschar in Wismar und dem damaligen Jugendwart Hans-Joachim Schwarz zur
Kirche gekommen. Liedersingen, Quiz, Andacht erleben und spannende Geschichten
hören sowie gemeinsames Beten gehörten zum regelmäßigen
Ablauf einer Jungscharstunde. Und als gemeinsames Zeichen der Stärkung
und Zuversicht fasste man sich am Ende jeder Jungscharstunden an
die Hände, bildete einen Kreis, und sagte gemeinsam: "Schließet
die Reihen, treu lasst uns sein, trifft uns auch Spott, treu unserem Gott,
treu unserem Gott!" Könnt Ihr euch vielleicht vorstellen, was dass
für einen Jungen mit 9 oder 11 Jahren bedeutete, der jeden Tag in
der Schule für sein Kirchengehen und Christsein ausgelacht wurde?
Als ich 1979 nach Schwerin kam gab es noch zwei Jungschargruppen und bis
1986 wurde diese Arbeit auch kontinuierlich fortgeführt, inkl. von
zwei Wochenrüstzeiten in den großen Winter- bzw. Sommerferien.
Habt Verständnis, ich kann hier nicht alles erzählen w. z. B. von der Gründung der Jugendzeitschrift die Stafette im Jahr 1947, von den Monatsrüsten und dem Kugelkreuz, dass von Rudolf Koch entworfen und vom sowjetischen Oberstleutnant Jermolaijew zugelassen wurde. Von der Gründung der FDJ im Jahr 1949 im Schweriner Theater, von der Zunahme der Auseinandersetzungen zwischen FDJ und Junger Gemeinde in den Jahren 1952 und 1953, der Angst und der Gewissheit, die die Jugendmitarbeiter in den Räumen der alten "Oase" in der Apothekerstr. 48 erlebt haben, wenn vor dem Tor wieder einmal die SED-Leute aufgezogen waren und die JG der Spionagetätigkeit für den Westen oder für Amerika beschuldigten. Wer aus dieser Zeit mehr wissen will, unmittelbare Erfahrungen hören will und sich mitreißen lassen möchte von dem guten Geist der Evangelischen Jugend, der soll die Älteren unter uns nochmals befragen oder auf die Homepage von Jochen Stopperam gehen (http://www.jochenstopperam.de/Junge%20Gemeinde.htm). Es wird, dieses weis ich von K. F. Sagert im März nächsten Jahres dazu auch nochmals eine Veranstaltung geben, in der an PW anlässlich seines 90. Geburtstag gedacht wird.
Wir müssen jetzt ein zeitlichen Sprung machen in die 70ziger Jahre der DDR. Deutschland war auf unabsehbare Zeit getrennt - in der Verfassung von 1969 stand: "… auf Ewigkeit mit der Sowjetunion verbunden …" - die evangelischen Kirchen waren nun getrennt und der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR gegründet. Auch dies war eine Zeit der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat und somit um das Ringen der Vormacht - insbesondere um die Vormachtstellung bei der jungen Generation. Viele Jugendlichen nahmen nicht mehr am Konfirmandenunterricht teil und der Anteil der jungen Menschen, die zu dieser Zeit regelmäßig Angebote der Evangelischen Jugendarbeit angenommen haben, kann in den nördlichen Bezirken der DDR auf ca. 10 % und in den südlichen Bezirken auf ca. 20 % der Altersgruppe geschätzt werden. In Schwerin gab es zu dieser Zeit in jeder Kirchgemeinde dennoch mindestens einen Jugendkreis - eine Junge Gemeinde. Geleitet wurden diese Gruppen entweder vom jeweiligen Pastor/Inn oder von den damals noch reichlich vorhanden Katechetinnen bzw. Diakonen. Viele von diesen Mitarbeitern hatten schon eine spezielle Fachausbildung in der Jugendarbeit erhalten und konnten somit jugendgemäßere Angebote unterbreiten. Die Stadt- und Kreisjugendwarte - regional und übergemeindlich tätige Mitarbeiter für jeweils einen Kirchenkreis, hatten die Aufgabe der Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter, der Jugendkonventsarbeit sowie die Aufgabe, über die Gemeindegrenzen hinweg Rüstzeiten, Stadtjugendabende, Monatsrüsten, Jugendsonntage und andere Großveranstaltungen anzubieten. Sie waren die Motoren der Evangelischen Jugendarbeit. In allen Jugendkreisen Schwerins gab es zu diesem Zeitpunkt ehrenamtlich mitwirkende Jugendliche; sie waren das Rückrad der hauptamtlichen Mitarbeiter. Diese Ehrenamtlichen waren die eigentlichen Multiplikatoren zu einer Zeit, in der man nicht so einfach und schnell wie es heute der Fall ist einen Flyer drucken konnte, eine Rund-Mail absetzen oder einen Annonce in die Zeitung bekam. Diese Ehrenamtlichen wurden auch schon damals gut geschult und ausgebildet; sie versammelten sich zu meist in einem eigenen Kreis- oder Stadtjugendkonvent, der wiederum in einem Delegiertenprinzip den Landesjugendkonvent bildete. In den Monatsrüsten wurden sie in ihren jeweiligen ehrenamtlichen Dienst berufen und erhielten (wie schon ab den 50zigern üblich) das Kugelkreuz. Die 70ziger Jahre in der DDR waren auch die Zeit der großen Konzeptionen Evangelischer Jugendarbeit. Die Synoden aller Landeskirchen befassten sich ausführlich mit der kirchlichen Jugendarbeit. Ich habe in meiner persönlichen Ablage eine Vielzahl solcher Konzeptionen gefunden. Ulli Mönch, Dr. Jürgen Henkys, Rudi Pahnke, Joachim Garstecki u. v. a. m. haben hier zwischen 1971 und -79 spannende Thesen und Konzeptionen aufgestellt. Bitte habt Verständnis, dass hier keine Sätze und Thesen vorstellen kann; es ist mehr als spannend, die alte Ansätze mit der heutigen Entwicklung zu vergleichen, aber jetzt ist dazu keine Gelegenheit.
Die 70ziger Jahren waren in Schwerin auch die Zeit der großen
Taizé-Treffen; "Stationen" genannt. Unter maßgeblicher Federführung
von dem damaligen Landesjugendpastor Sagert, wurden diese Treffen auf Landes-
und Regionalebene vorbereitet und durchgeführt. Ich erinnere mich,
dass bei diesen, in der Regel Ende August stattfindenden mehrtägigen
Treffen im Schweriner Dom, manchmal bis zu 800 junge Menschen versammelt
waren. Gemeinsame Gebete und Gesänge, Bibelarbeiten und Glaubensgespräche
prägten diese Tage und waren für manche Jugendliche prägend
bis in die heute Zeit, ohne jemals nach Taizé fahren zu können.
Das Taizémotto "Kampf und Kontemplation" wurde in manchen Jugendkreisen
zu einem Leitmotiv in diesen Jahren.
Und nicht vergessen darf ich die großen Landesjugendsonntage,
die zumeist in Güstrow und manchmal auch in Schwerin stattfanden.
Sie waren Höhepunkte im Jahreskalender der Evangelischen Jugendarbeit,
die jährlich über tausend Jugendliche anzogen und z. T. auch
mehrtätig stattfanden. Ihr glaubt gar nicht, welche Wirkungen solche
Großveranstaltungen auf diejenigen Jugendlichen hatten, die
in ihrem Dorf oder in ihrer Klasse immer nur die Erfahrung des vereinsamten,
einzelnen und häufig auch als rückständig verhänselten
Christen kannten. Da waren plötzlich Massen in einem Sinn zusammengekommen
und in einem guten Geist. Man traf sich mit seinesgleichen, verstand sich
und hatte zumeist gleiche Erfahren in Gemeinde, Schule, Ausbildung und
Betrieb gemacht.
Die Schweriner Jugendarbeit hatte in den 70zigern noch eine Besonderheit
entwickelt. Es waren die regelmäßigen Stadtjugendabende
und Stadtjugendgottesdienste. Sie wurden vom Stadtjugendkonvent und von
der Stadtjugendmitarbeitergruppe unter Federführung von Manfred Schmidt,
Stadt- und Kreisjugendwart, und Matthias Burckhard, Stadtjugendpastor,
vorbereitet und durchgeführt. Die Stadtjugendabende waren inhaltliche
Großveranstaltung, die für ca. 100 bis 200 Teilnehmer geplant
wurden und zumeist im Wichernsaal, dem einzigen kirchlichen Raum für
größere Veranstaltungen außerhalb der Kirchen in der Apothekerstr.
48 durchgeführt. Ein solcher Stadtjugendabend war im wahrsten Sinne
außerschulische Bildungsarbeit und berührte sowohl alltägliche
Lebensfragen, wie weltpolitische Themen und Glaubensfragen. Hier
wurden Wissen und Meinungen vorgetragen, in Gruppen diskutiert, hier wurde
freie Rede geführt und so mancher Jugendlicher hat hier seine Einstellung
und Haltung geschärft und das öffentliche Reden gelernt. Die
Werbung zu solchen Veranstaltungen geschah durch einen eigenen Plakatkreis
in der Evangelischen Jugend; er stellte monatlich die neuen Plakate für
die Veranstaltungen her und bestückte die vielen Schaukästen
an den kirchlichen Gebäuden Schwerins. Oder es wurden im Büro
der Evangelischen Jugend, im Keller des Schleifühlenweg 11 und später
in der E.-Thählmann-Str. (Lübeckerstr.) 53, mit einem Tausenfachstempel
Handzettel hergestellt - natürlich nur zum "innerkirchlichen Dienstgebrauch"
- wie es damals hieß, denn Drucken war verboten.
Resümierend kann man über dies Zeit sagen: Evangelische Jugendarbeit
war in jeder Kirchgemeinde zu Hause und ein fester Bestandteil jeglicher
Gemeindearbeit. Man traf sich im Kleinen wie im Großen und in speziellen
Gruppen: Es gab neben den fünf Jungen Gemeinden in Schwerin, eine
Band, zwei Jungscharrgruppen, eine Studentengemeinde, ein Plakatkreis,
eine Laienspielgruppe, eine Jugendposaunengruppe, ein Jugendkonvent und
einen Taizégebetskreis. Und das alles von einem hauptamtlichen Mitarbeiter
koordiniert und durch mehrere Mitarbeiter in den Kirchgemeinde und Ehrenamtliche
begleitet - glaubt mir, ohne den guten Geist wäre hier nichts machbar
gewesen.
In den 80ziger Jahren kommt die sozial-diakonische
Jugendarbeit als neues Element der Evangelischen Jugendarbeit in Schwerin
hinzu. Auch diese Arbeit begann bereits 1979 als Straßensozialarbeit
in der Müller- und Von-Thünen-Str., am Platz der Opfer des Faschismus
und hatte wieder als erste Räume die "Oase" auf dem Hof der Apothekerstr.
zur Verfügung. Schnell wurde aber deutlich, dass diese Arbeit nicht
so ohne weiteres mit der üblichen Jugend- und Gruppenarbeit der Evangelischen
Jugendarbeit am selben Ort und in den gleichen Arbeitsformen durchgeführt
werden konnte. Waren die jungen Leute, die sich zur Evangelischen Jugendarbeit
Schwerin hingezogen fühlten, zumeinst Mittelstandsjugendliche aus
gutbürgerlichen Elternhäusern, so waren die Jugendlichen die
nun zur offenen Jugendarbeit von der Strasse in die Oase kamen, überhaupt
nicht kirchlich gebunden, entstammten eher dem Arbeitermilieu und zeichneten
sich durch auffälliges Verhalten, Unzuverlässigkeit, Lautstärke
und z. T. durch Gewalttätigkeit und viel Alkoholgenuss aus. Sie passte
so gar nicht zum heilen Bild Evangelischer Jugendarbeit. Das merkten auch
sehr schnell staatliche Organe; sie wurde aufmerksam auf die sozial-diakonische
Jugendarbeit, legen Akten an und versuchten kirchliche Mitarbeiter dahingehend
zu beeinflussen, diese Arbeit wieder fallen zulassen. In einem Gespräch
mit dem damaligen Chef des Innern der Stadt Schwerin, Herrn Heidrich, sagte
mir dieser: "Bleiben Sie doch bei ihren christlichen Jugendlichen in den
kirchlichen Gebäuden, was mischen Sie sich ein in unsere Aufgaben."
Sozial-diakonische Jugendarbeit war in der DDR der Stachel im Fleisch -
und z. T. nicht nur auf staatlicher Seite. Meine Kollegen/Innen in den
anderen Landeskirchen hatten zumeist einen schwereren Stand als ich in
Schwerin, Detlef Borchardt in Neubrandenburg oder Bernhard Mühlichen
in Wismar. Die neunte Landessynode unserer Kirche hatte dagegen bereits
1978 den Beschluss gefasst, bis zu fünf Sozialdiakone in die Landeskirche
zu holen, um die Arbeit mit auffälligen und behinderten Jugendlichen
zu einen Schwerpunkt der Jugendarbeit auszubauen. Die Landeskirche war
wie ein Gärtner, der frühzeitig ein Beet im Garten kirchlicher
Arbeit anlegte und nun wartete, wie sich die Arbeit entwickelt; in anderen
Landeskirchen wurden die Kirchenleitungen und Gemeinden dagegen mit der
offenen und sozial-diakonischen Jugendarbeit eher überrascht. Bereits
in der Sitzung unserer Kirchenleitung am 4. Januar 1980 lies man
sich über die neuen Arbeitsbereiche durch die Mitarbeiter unmittelbar
unterrichten; ich zitiere wörtlich: "Die Kirchenleitung dankte den
Mitarbeitern für ihren seelsorgerlich-diakonischen Einsatz und betont,
dass damit ein wesentlichen kirchlicher Dienst geleistet wurde. Sie sprach
sich dafür aus, Möglichkeiten zu erkunden, um für diesen
Dienst die notwendigen Mittel, wo zu beispielsweise Finanzen ebenso wie
Arbeitsräume gehören, zur Verfügung zu stellen." (MKZ Nr.
3 vom 20 1. 1980) Aus dem gleichen Dokument ist ein wenig später
zu lesen: "Was die Kirche mit diesen Jugendlichen zu tun hat? Sie hat ebensoviel
damit zu tun, wie Jesus mit schwachen, kranken und ausgestoßenen
Menschen zu tun hatte. Im Neuen Testament lesen wir, wie Jesus sich um
auffällige Menschen gekümmert hat. Die Mitarbeiter der "Oase"
möchten sich so wie er, für Jugendliche, die nicht zurechtkommen,
öffnen. Sie hoffen, dass junge Menschen in der "Oase" einen Raum der
Geborgenheit und der Vertrauens entdecken können, einen Stützpunkt
des Lebens in der sie bedrohenden Wüste."
Bald darauf fällt die Entscheidung, den Keller der St. Paulskirche,-
bis dahin Aufbewahrungsort der im Krieg ausgelagerten Ratzeburger Dombibliothek
-, für sozial-diakonische Jugendarbeit auszubauen und zu nutzen. Dem
Diakonischen Werk, dem die Räume der "Oase" gehörten, war dieses
auch sehr recht, denn zum einen gab es mit Straßenjugendlichen oft
Ärger und die Räume selbst litten erheblich unter der Sachbeschädigung.
Der damalige Pastor i. R. der St. Paulsgemeinde Gehard Voss, spielte bei
der Entscheidung zum Paulskirchenkeller eine zentrale Rolle. Eine kurze
Geschichte dazu sei mir hier gestattet: " …. Wer sind eigentlich die Jugendlichen,
die da in unseren Keller gehen wollen?" Fragte mich der "alte Voss" - so
hieß er damals in der kirchlichen Szene. Die Antwort war mit ein
paar Namen aus der Müller- und Von-Thühnen-Str. schnell gefunden:
Es waren die Kinder oder Enkelkinder derjenigen Menschen, die er als Pastor
in seine Paulskirche holen wollte, die nun ganz von alleine in den Keller
der Kirche kamen. Er sagte, nach dem er einige Namen leise wiederholt hatte:
"Den Tisch des Herrn haben sie mir allzu oft verweigert, aber ihre Kinder
gehen in unseren Kirchenkeller und erleben Kirche und Glauben ganz anders."
Eine wundersame Erkenntnis für uns alle war das. Aber es waren auch
noch Andere, die entscheidenden Anteil am Zustandekommen dieses Beschlusses
zum PKK hatte. Ich will einige Namen hier heute beispielhaft und der Erinnerung
halber aufzählen: Herr Achim Dugge, Krankenhausseelsorger, Peter Voß,
damaliger Pastor der Schlossgemeinde und spätere Vorsitzender des
Kuratoriums der sozial-diakonischen Jugendarbeit, die St. Paulspastoren
Rietzke und Meyer und Küster Schwieger, der kirchl. Baubeauftragte
Brüggemann, der Bauingenieur Wenzel, Christian Eggert aus dem Kirchgemeinderat
der Paulsgemeinde, Landesjugendpastor Roettig und nicht zuletzt der Landessuperintendent
Wellingerhof. Die finanziellen Mittel für diesen Auf- und Ausbau kamen
z. T. aus dem Landesjugendankopfer, sie wurden von den Schweriner Gemeinden
gesammelt bzw. kamen aus einer namhaften Einzelspende. Jugendliche aus
der "Oase" und aus den Jungen Gemeinden Schwerins legten selber Hand an
und so konnte im Herbst 1981 der PKK eingeweiht werden. (Dazu werde ich
heute Abend im Keller noch einige Geschichten zum Besten geben; wer sie
hören und vielleicht über so manches schmunzeln will, möge
heute Abend bitte in den Keller kommen.)
Nun könnte ich auch aus dieser Zeit viel erzählen und das ganze Verhältnis zum Staat, zur Stasi, zur Bezirksstadt Schwerin aber zu den kirchlichen Entscheidungsträgern erläutern und darlegen. Unterlagen gibt es dazu genug. Eine Stasioffizier hat seine Diplomarbeit zum PKK und zur Zersetzung der sozial-diakonischen Jugendarbeit des WERGINs geschrieben, es gibt tausende Seiten Stasi- und SED-Akten zu diesem Thema und sicher lassen sich auch in den kirchlichen Archiven viele Seiten zu diesem Thema finden. Wer daran Interesse hat, möchte mich anschließend darauf ansprechen.
Auch geht die Geschichte natürlich nach 1990 weiter; das neue Jugendhilferecht
der Bundesrepublik Deutschland wird eingeführt, die bisherige Evangelische
Stadtjugendarbeit und die sozial-diakonische Jugendarbeit spalten sich
vielfältig auf und entwickelt sich unter der Geschäftsführung
von Wolfram Grafe zu einem anerkannten Träger der freien Jugendhilfe
in der Landeshauptstadt. Ich denke, diesen Teil der Geschichten kennen
die meisten unter euch noch und er muss hier nicht ausführlich erzählt
werden. Zum 100Jährigen wird dazu sicher viel Gelegenheit sein.
Zwei Leitsätze möchte ich
dennoch aus dem PKK zitieren, die wohl nicht nur für den Keller galten,
sondern für ganze Evangelische Jugendarbeit Schwerins. Mir haben diese
beiden Leitsätze in meiner Arbeit sehr geholfen:
1. Die erste Bibel in der Jugendlichen lesen sind die Mitarbeiter und
die für sie eingerichteten Räume.
2. Sozial-diakonsiche Jugendarbeit ist eine Lebensäußerung
unserer Gemeindearbeit.
Der erste Satz ist so simpel wie einleuchtend: Über eine Beziehung
und Erfahrung zu einem kirchlichen Mitarbeiter sind die meisten von uns
selbst zur Kirche, zur Bibel und zum Glauben gekommen. Überzeugt waren
wir nicht sogleich von Fakten und Glaubensgrundsätzen, von Traditionen
oder Erlerntem, sondern Menschen und Ihre Haltungen waren für uns
überzeugend. Und das gilt bis heute.
Jugendliche haben es nach wie vor verdient, mit Mitarbeitern in der
Evangelischen Jugend zu tun haben,
" die eine Beziehung zu ihnen aufbauen und den Jugendlichen nicht als
Klienten behandeln,
" die ein offenes Antlitz haben.
" Junge Menschen haben kirchliche Jugendmitarbeiter verdient, die nicht
sogleich überfordert sind, Angst haben, oder sich bluffen lassen von
Gewalt, Geruch, Aussehen, Hunden oder Haarschnitt,
" die Zeit und Liebe zur Arbeit haben und verbindlich erreichbar sind,
" die mal entschieden NEIN sagen können und sich ansonsten solidarisch
mit den Jugendlichen wissen. Auf die man sich verlassen kann.
" Die Jugendlichen haben Mitarbeiter verdient, die wissen, dass sie
nicht vollkommen sind und sich selber Rat holen können,
" für die die Professionalität in der Jugendhilfe nur die
eine Seite der Medaille ist und die zugleich wissen, dass Engagement
auch Opfer verlangt, Enttäuschung mit sich bringen kann und nicht
immer belohnt wird.
" Sie haben Mitarbeiter verdient, die selber wissen, dass Gott sie
hält und für ihre Arbeit berufen hat.
So ähnlich verhält es sich auch mit den Räumen die wir
schaffen (auch im übertragenen Sinne). Im PKK haben wir stets auf
Atmosphäre geachtet: Tischdecken, warmes Essen, freundliche Ansprache,
kostenlose Getränke, brennende Kerzen, sauberes Geschirr und sinnvolle
Beschäftigung waren ebenso wichtig wie seelsorgerliche Gespräche
mit Einzelnen oder Gruppen. Der Raum hat seine eigene Verkündigung.
Der zweite Leitsatz, "… Jugendarbeit ist eine Lebensäußerung
unserer Gemeindearbeit." Ist da schon schwieriger, weil er zugleich einen
strukturellen und einen theologischen Aspekt beinhaltet. Es tut erst einmal
nicht weh und man merkt es eigentlich kaum, wenn junge Leute, dazu noch
Jugendliche aus der sozial-diakonischen Jugendarbeit, in der Gemeindearbeit
nicht mehr vorkommen. Das Kirchensteueraufkommen wird nicht sogleich sinken,
wenn es keine Jugendarbeit mehr in einer Gemeinde oder einer Propstei gibt.
Vielleicht wird es sogar vorerst friedlicher, sauberer, ruhiger und harmonischer
im Gemeindehaus. Und auch nur denjenigen Mitarbeitern und Gemeindegliedern
wird etwas in der Kirchgemeinde fehlen, die selbst Jugendarbeit erlebt
haben und denen die Überalterung unserer Gemeinde Sorge bereitet.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Jugendarbeit der 50ziger und
60ziger Jahre: Die Evangelische Jugendarbeit war Ausgangspunkt und Quelle
für viele kirchliche Ausbildungen; kirchliche Jugendarbeit war das
Mutterschiff für die Berufsentscheidung vieler junger Menschen. Ist
das heute auch noch so? Was tun heute die Kollegen/Innen der Stiftung Evangelische
Jugend Schwerins, um Mitarbeiter für die kirchliche Arbeit zu gewinnen?
Wer will, dass Jugendarbeit eine selbstverständliche Lebensäußerung
der Gemeindearbeit bleibt, muss u. a. auch selber dazu beitragen, dass
Pastoren und Gemeindepädagogen ausgebildet werden und junge Leute
für die Kirche und den Glauben gewinnen.
Der gute Geist bleibt:
In einer Mitarbeiteraufzählung der Evangelischen Jugendarbeit
Schwerin, die ich für diesen Tag versucht habe zu schreiben, fand
ich 14 hauptamtliche Mitarbeiter, die unmittelbar nach 1946 hier in der
Evangelischen Jugendarbeit Schwerins bis 1990 tätig waren. Nun könnt
ihr die jetzigen Mitarbeiter der Stiftung Evangelische Jugend Schwerin
dazurechnen. Das ist schon eine stattliche Anzahl von Menschen, die hier
gewirkt und Jugendliche über viele Generationen gebildet und geprägt
haben.
Glaubt hier einer im Saal ernstlich, dass wäre ohne Gotte Zutun,
ohne einen guten Geist, möglich gewesen?
Wer nun jedoch glaubt, dass ein solcher guter Geist wie ein Geschenk
einfach da ist und von alleine wirkt, der irrt. Es ist wie mit einem
Medikament im Medizinschrank, von allein entfaltet es auch keine
Wirkung, es sei denn man nimmt es in sich auf. Oder anders gesagt, die
Tatsache, dass ich bei der Stiftung Evangelische Jugend Schwerin arbeite,
macht mich noch nicht zu einen guten und engagierten kirchlichen Mitarbeiter;
man wird schließlich auch nicht zu einem Auto wenn man in einer Garage
arbeitet. Aber was ist es dann? Wann wirkt der gute Geist?
Ich weis darauf nur eine Antwort und die lautet: Wenn ich darauf vertraue
und gewiss bin, dass mir in jedem Menschen Gott begegnen kann und wir vor
ihm alle gleich sind.