Abriss der Geschichte der Evangelischen Jugend Schwerins       Vortrag am 8. 11.2006 in der Petrus-Gemeinde, Schwerin
                                                                                                          weiter zum geschichtlichen Abriss der sozial-diakonischen Jugendarbeit in Schwerin
Vorrede:
Blicke ich hier in den Raum, sehe ich nicht nur Mitstreiter aus der Evangelischen Jugendarbeit der 70ziger oder 80ziger Jahre und nicht nur Fachkräfte, die heute in der Stiftung Evangelischen Jugend Schwerins tätig sind, sondern ich sehe Jugendmitarbeiter, die weit vor meiner eigenen aktiven Zeit in der Jugendarbeiter dieser Stadt bereits in den 50ziger und 60ziger Jahren aktiv waren. Sie könnten eigentlich viel besser als ich von der Evangelischen Jugendarbeit Schwerins erzählen, denn sie sind Zeugen und gehören zu der Generation, die die Anfänge der Evangelischen Jugendarbeit nach dem zweiten Weltkrieg erlebt und mitgestaltet haben. Sie können etwas von dem guten Geist der Evangelischen Jugendarbeit, den wir alle selbst in unserer Jugendzeit erfahren oder z. T. als Mitarbeiter mitgeprägt haben, an die jetzigen Kollegen/Innen der Stiftung Evangelischen Jugend Schwerin weiterreichen.

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Der gute Geist:
Aber was ist denn nun der gute Geist der Evangelischen Jugend? Gibt es überhaupt - einen guten Geist? Ich werde in dieser Rede geschichtlich vorgehen und vorerst bei den Anfängen suchen, um mich sodann durch die Jahrzehnte zu arbeiten.
Zu erst einmal muss ich eine Zeit festlegen, ab wann man eigentlich von der Evangelischen Jugendarbeit Schwerins sprechen kann; ich lege dieses Datum  - vielleicht etwas willkürlich und sicher nicht in Unkenntnis darüber, dass es auch schon vor dieser Zeit kirchliche Arbeit mit jungen Menschen gegeben hat - auf das               Jahr 1946 fest. Der damalige Bischof, Niclot Beste, berief Pastor Friedrich Franz Wellingerhof als Landesjugendpastor in die Mecklenburgische Landeskirche; alle nannte ihn später, und wohl auch aus Sicherheitsgründen gegenüber Staat und  Schule, nur mit den Initialen: "PW" = Pastor Wellingerhof.  Er hatte bereits als Theologiestudent vor dem Krieg  einen Jugendkreis geleitet und war für die Aufbauarbeit wie geschaffen. Schon damals wurde die Jugendarbeit der Kirche misstrauisch vom Staat und den Besatzungsbehörden beäugt und es hat sich das schöne Zitat eines sowjetischen Kommandanten erhalten, der bei einem Verhör von PW sagte: "Du sollst mit Jungen beten, nicht baden!"
Die Frau von PW erzählte einmal: "Zunächst war der Schwerpunkt seiner Arbeit in Schwerin. Er bat die Pastoren dort, in den Konfirmandenstunden zum Jugendkreis einladen zu dürfen und hatte bald mehrere Gruppen der 12-14jährigen, machte offene Abende für ältere Jugendliche, Kreise für konfirmierte Jungen (Mädchen wurden in fast jeder Gemeinde von Gemeindehelferinnen des Burckhardthauses gesammelt), er übte Laienspiele ein und fasste alle Schweriner Jugendarbeit in der Monatsrüste zusammen, die an jedem 1. des Monats um 19:00 Uhr stattfand." An den Wochenenden fuhr PW mit den Jugendlichen auf die Dörfer hinaus; es gab dort Jugendsonntage und die Landgemeinden wurden so ermuntert, eigene Jugendkreise zu gründen. In Orten wie z. B. Dobbertin, Pampow, Retgendorf, Serrahn und Graal-Müritz wurden die ersten Rüstzeiten unter sehr spartanischen Bedingungen durchgeführt. Wer diese ersten Rüsten erlebt und mitgemacht hat, kann stundenlang spannende Geschichten erzählen. Viele Pastoren und kirchliche Mitarbeiter sind aus diesen Anfängen der Jugendarbeit hervorgegangen und haben auf Anregung von PW mit dem Theologiestudium oder der  Diakonenausbildung begonnen. Ob nun bewusst oder mehr der damaligen Struktur des getrennt agierenden Jugendmännerwerkes und der evangelischen Mädchenarbeit geschuldet, - die ersten evangelischen Jugendgruppen in Schwerin waren zumeist Mädchen- bzw. Jungenkreise: Es war z. B. die Jungschararbeit, die mit PW und seinen ersten Mitarbeitern in das Land getragen wurde. Jungeschar - heute ein altertümliches Wort - war die Jungenarbeit mit 9 bis 13Jährigen; sie war auf die Bedürfnisse und das geschlechtspezifische Erleben von Jungen ausgerichtet. Ich selbst bin auf diesem Wege 1965 durch die Jungschar in Wismar und dem damaligen Jugendwart Hans-Joachim Schwarz zur Kirche gekommen. Liedersingen, Quiz, Andacht erleben und spannende Geschichten hören sowie gemeinsames Beten gehörten zum  regelmäßigen Ablauf einer Jungscharstunde. Und als gemeinsames Zeichen der Stärkung und Zuversicht fasste man sich  am Ende jeder Jungscharstunden an die Hände, bildete einen Kreis, und sagte gemeinsam: "Schließet die Reihen, treu lasst uns sein, trifft uns auch Spott, treu unserem Gott, treu unserem Gott!" Könnt Ihr euch vielleicht vorstellen, was dass für einen Jungen mit 9 oder 11 Jahren bedeutete, der jeden Tag in der Schule für sein Kirchengehen und Christsein ausgelacht wurde? Als ich 1979 nach Schwerin kam gab es noch zwei Jungschargruppen und bis 1986 wurde diese Arbeit auch kontinuierlich fortgeführt, inkl. von zwei Wochenrüstzeiten in den großen Winter- bzw. Sommerferien.

Habt Verständnis, ich kann hier nicht alles erzählen w. z. B. von der Gründung der Jugendzeitschrift die Stafette im Jahr 1947, von den Monatsrüsten und dem Kugelkreuz, dass von Rudolf Koch entworfen und vom sowjetischen Oberstleutnant Jermolaijew zugelassen wurde. Von der Gründung der FDJ im Jahr 1949 im Schweriner Theater, von der Zunahme der Auseinandersetzungen zwischen FDJ und Junger Gemeinde in den Jahren 1952 und 1953, der Angst und der Gewissheit, die die Jugendmitarbeiter in den Räumen der alten "Oase" in der Apothekerstr. 48 erlebt haben, wenn vor dem Tor wieder einmal die SED-Leute aufgezogen waren und die JG der Spionagetätigkeit für den Westen oder für Amerika beschuldigten. Wer aus dieser Zeit mehr wissen will, unmittelbare Erfahrungen hören will und sich mitreißen lassen möchte von dem guten Geist der Evangelischen Jugend, der soll die Älteren unter uns nochmals befragen oder auf die Homepage von Jochen Stopperam gehen (http://www.jochenstopperam.de/Junge%20Gemeinde.htm). Es wird, dieses weis ich von K. F. Sagert im März nächsten Jahres dazu auch nochmals eine Veranstaltung geben, in der an PW anlässlich seines 90. Geburtstag gedacht wird.

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Wir müssen jetzt ein zeitlichen Sprung machen in die 70ziger Jahre der DDR. Deutschland war auf unabsehbare Zeit getrennt  - in der Verfassung von 1969 stand: "… auf Ewigkeit mit der Sowjetunion verbunden …"  -  die evangelischen Kirchen waren nun getrennt und der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR gegründet. Auch dies war eine Zeit der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat und somit um das Ringen der Vormacht - insbesondere um die Vormachtstellung bei der jungen Generation. Viele Jugendlichen nahmen nicht mehr am Konfirmandenunterricht teil und der Anteil der jungen Menschen, die zu dieser Zeit regelmäßig Angebote der Evangelischen Jugendarbeit angenommen haben, kann in den nördlichen Bezirken der DDR auf ca. 10 % und in den südlichen Bezirken auf ca. 20 %  der Altersgruppe geschätzt werden. In Schwerin gab es zu dieser Zeit in jeder Kirchgemeinde dennoch mindestens einen Jugendkreis - eine Junge Gemeinde. Geleitet wurden diese Gruppen entweder vom jeweiligen Pastor/Inn oder von den damals noch reichlich vorhanden Katechetinnen bzw. Diakonen. Viele von diesen Mitarbeitern hatten schon eine spezielle Fachausbildung in der Jugendarbeit erhalten und konnten somit jugendgemäßere Angebote unterbreiten. Die Stadt- und Kreisjugendwarte - regional und übergemeindlich tätige Mitarbeiter für jeweils einen Kirchenkreis, hatten die Aufgabe der Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter, der Jugendkonventsarbeit sowie die Aufgabe, über die Gemeindegrenzen hinweg Rüstzeiten, Stadtjugendabende, Monatsrüsten, Jugendsonntage und andere Großveranstaltungen anzubieten. Sie waren die Motoren der Evangelischen Jugendarbeit.  In allen Jugendkreisen Schwerins gab es zu diesem Zeitpunkt ehrenamtlich mitwirkende Jugendliche; sie waren das Rückrad der hauptamtlichen Mitarbeiter. Diese Ehrenamtlichen waren die eigentlichen Multiplikatoren zu einer Zeit, in der man nicht so einfach und schnell wie es heute der Fall ist einen Flyer drucken konnte, eine Rund-Mail absetzen oder einen Annonce in die Zeitung bekam. Diese Ehrenamtlichen wurden auch schon damals gut geschult und ausgebildet; sie versammelten sich zu meist in einem eigenen Kreis- oder Stadtjugendkonvent, der wiederum in einem Delegiertenprinzip den Landesjugendkonvent bildete. In den Monatsrüsten wurden sie in ihren jeweiligen ehrenamtlichen Dienst berufen und erhielten (wie schon ab den 50zigern üblich) das Kugelkreuz. Die 70ziger Jahre in der DDR waren auch die Zeit der großen Konzeptionen Evangelischer Jugendarbeit. Die Synoden aller Landeskirchen befassten sich ausführlich mit der kirchlichen Jugendarbeit. Ich habe  in meiner persönlichen Ablage eine Vielzahl solcher Konzeptionen gefunden. Ulli Mönch, Dr. Jürgen Henkys,  Rudi Pahnke, Joachim Garstecki u. v. a. m. haben hier zwischen 1971 und -79 spannende Thesen und Konzeptionen aufgestellt. Bitte habt Verständnis, dass hier keine Sätze und Thesen vorstellen kann; es ist mehr als spannend, die alte Ansätze mit der heutigen Entwicklung zu vergleichen, aber jetzt ist dazu keine Gelegenheit.

Die 70ziger Jahren waren in Schwerin auch die Zeit der großen Taizé-Treffen; "Stationen" genannt. Unter maßgeblicher Federführung von dem damaligen Landesjugendpastor Sagert, wurden diese Treffen auf Landes- und Regionalebene vorbereitet und durchgeführt. Ich erinnere mich, dass bei diesen, in der Regel Ende August stattfindenden mehrtägigen Treffen im Schweriner Dom, manchmal bis zu 800 junge Menschen versammelt waren. Gemeinsame Gebete und Gesänge, Bibelarbeiten und Glaubensgespräche prägten diese Tage und waren für manche Jugendliche prägend bis in die heute Zeit, ohne jemals nach Taizé fahren zu können. Das Taizémotto "Kampf und Kontemplation" wurde in manchen Jugendkreisen zu einem Leitmotiv in diesen Jahren.
Und nicht vergessen darf ich die großen Landesjugendsonntage, die zumeist in Güstrow und manchmal auch in Schwerin stattfanden. Sie waren  Höhepunkte im Jahreskalender der Evangelischen Jugendarbeit, die jährlich über tausend Jugendliche anzogen und z. T. auch mehrtätig stattfanden. Ihr glaubt gar nicht, welche Wirkungen solche Großveranstaltungen  auf diejenigen Jugendlichen hatten, die in ihrem Dorf oder in ihrer Klasse immer nur die Erfahrung des vereinsamten, einzelnen und häufig auch als rückständig verhänselten Christen kannten. Da waren plötzlich Massen in einem Sinn zusammengekommen und in einem guten Geist. Man traf sich mit seinesgleichen, verstand sich und hatte zumeist gleiche Erfahren in Gemeinde, Schule, Ausbildung und Betrieb gemacht.
Die Schweriner Jugendarbeit hatte in den 70zigern noch eine Besonderheit entwickelt. Es waren die regelmäßigen  Stadtjugendabende und Stadtjugendgottesdienste. Sie wurden vom Stadtjugendkonvent und von der Stadtjugendmitarbeitergruppe unter Federführung von Manfred Schmidt, Stadt- und Kreisjugendwart, und Matthias Burckhard, Stadtjugendpastor, vorbereitet und durchgeführt. Die Stadtjugendabende waren inhaltliche Großveranstaltung, die für ca. 100 bis 200 Teilnehmer geplant wurden und zumeist im Wichernsaal, dem einzigen kirchlichen Raum für größere Veranstaltungen außerhalb der Kirchen in der Apothekerstr. 48 durchgeführt. Ein solcher Stadtjugendabend war im wahrsten Sinne außerschulische Bildungsarbeit und berührte sowohl alltägliche Lebensfragen, wie weltpolitische Themen und Glaubensfragen.  Hier wurden Wissen und Meinungen vorgetragen, in Gruppen diskutiert, hier wurde freie Rede geführt und so mancher Jugendlicher hat hier seine Einstellung und Haltung geschärft und das öffentliche Reden gelernt. Die Werbung zu solchen Veranstaltungen geschah durch einen eigenen Plakatkreis in der Evangelischen Jugend; er stellte monatlich die neuen Plakate für die Veranstaltungen her und bestückte die vielen Schaukästen an den kirchlichen Gebäuden Schwerins. Oder es wurden im Büro der Evangelischen Jugend, im Keller des Schleifühlenweg 11 und später in der E.-Thählmann-Str. (Lübeckerstr.) 53, mit einem Tausenfachstempel Handzettel hergestellt - natürlich nur zum "innerkirchlichen Dienstgebrauch" - wie es damals hieß, denn Drucken war verboten.
Resümierend kann man über dies Zeit sagen: Evangelische Jugendarbeit war in jeder Kirchgemeinde zu Hause und ein fester Bestandteil jeglicher Gemeindearbeit. Man traf sich im Kleinen wie im Großen und in speziellen Gruppen: Es gab neben den fünf Jungen Gemeinden in Schwerin, eine Band, zwei Jungscharrgruppen, eine Studentengemeinde, ein Plakatkreis, eine Laienspielgruppe, eine Jugendposaunengruppe, ein Jugendkonvent und einen Taizégebetskreis. Und das alles von einem hauptamtlichen Mitarbeiter koordiniert und durch mehrere Mitarbeiter in den Kirchgemeinde und Ehrenamtliche begleitet - glaubt mir, ohne den guten Geist wäre hier nichts machbar gewesen.

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In den 80ziger Jahren kommt die sozial-diakonische Jugendarbeit als neues Element der Evangelischen Jugendarbeit in Schwerin hinzu. Auch diese Arbeit begann bereits 1979 als Straßensozialarbeit in der Müller- und Von-Thünen-Str., am Platz der Opfer des Faschismus und hatte wieder als erste Räume die "Oase" auf dem Hof der Apothekerstr.  zur Verfügung. Schnell wurde aber deutlich, dass diese Arbeit nicht so ohne weiteres mit der üblichen Jugend- und Gruppenarbeit der Evangelischen Jugendarbeit am selben Ort und in den gleichen Arbeitsformen durchgeführt werden konnte. Waren die jungen Leute, die sich zur Evangelischen Jugendarbeit Schwerin hingezogen fühlten, zumeinst Mittelstandsjugendliche aus gutbürgerlichen Elternhäusern, so waren die Jugendlichen die nun zur offenen Jugendarbeit von der Strasse in die Oase kamen, überhaupt nicht kirchlich gebunden, entstammten eher dem Arbeitermilieu und zeichneten sich durch auffälliges Verhalten, Unzuverlässigkeit, Lautstärke und z. T. durch Gewalttätigkeit und viel Alkoholgenuss aus. Sie passte so gar nicht zum heilen Bild Evangelischer Jugendarbeit. Das merkten auch sehr schnell staatliche Organe; sie wurde aufmerksam auf die sozial-diakonische Jugendarbeit, legen Akten an und versuchten kirchliche Mitarbeiter dahingehend zu beeinflussen, diese Arbeit wieder fallen zulassen. In einem Gespräch mit dem damaligen Chef des Innern der Stadt Schwerin, Herrn Heidrich, sagte mir dieser: "Bleiben Sie doch bei ihren christlichen Jugendlichen in den kirchlichen Gebäuden, was mischen Sie sich ein in unsere Aufgaben." Sozial-diakonische Jugendarbeit war in der DDR der Stachel im Fleisch - und z. T. nicht nur auf staatlicher Seite. Meine Kollegen/Innen in den anderen Landeskirchen hatten zumeist einen schwereren Stand als ich in Schwerin, Detlef Borchardt in Neubrandenburg oder Bernhard Mühlichen in Wismar. Die neunte Landessynode unserer Kirche hatte dagegen bereits 1978 den Beschluss gefasst, bis zu fünf Sozialdiakone in die Landeskirche zu holen, um die Arbeit mit auffälligen und behinderten Jugendlichen zu einen Schwerpunkt der Jugendarbeit auszubauen. Die Landeskirche war wie ein Gärtner, der frühzeitig ein Beet im Garten kirchlicher Arbeit anlegte und nun wartete, wie sich die Arbeit entwickelt; in anderen Landeskirchen wurden die Kirchenleitungen und Gemeinden dagegen mit der offenen und sozial-diakonischen Jugendarbeit eher überrascht. Bereits in der Sitzung unserer Kirchenleitung am 4. Januar 1980  lies man sich über die neuen Arbeitsbereiche durch die Mitarbeiter unmittelbar unterrichten; ich zitiere wörtlich: "Die Kirchenleitung dankte den Mitarbeitern für ihren seelsorgerlich-diakonischen Einsatz und betont, dass damit ein wesentlichen kirchlicher Dienst geleistet wurde. Sie sprach sich dafür aus, Möglichkeiten zu erkunden, um für diesen Dienst die notwendigen Mittel, wo zu beispielsweise Finanzen ebenso wie Arbeitsräume gehören, zur Verfügung zu stellen." (MKZ Nr. 3 vom 20 1. 1980)  Aus dem gleichen Dokument ist ein wenig später zu lesen: "Was die Kirche mit diesen Jugendlichen zu tun hat? Sie hat ebensoviel damit zu tun, wie Jesus mit schwachen, kranken und ausgestoßenen Menschen zu tun hatte. Im Neuen Testament lesen wir, wie Jesus sich um auffällige Menschen gekümmert hat. Die Mitarbeiter der "Oase" möchten sich so wie er, für Jugendliche, die nicht zurechtkommen, öffnen. Sie hoffen, dass junge Menschen in der "Oase" einen Raum der Geborgenheit und der Vertrauens entdecken können, einen Stützpunkt des Lebens in der sie bedrohenden Wüste."
Bald darauf fällt die Entscheidung, den Keller der St. Paulskirche,- bis dahin Aufbewahrungsort der im Krieg ausgelagerten Ratzeburger Dombibliothek -, für sozial-diakonische Jugendarbeit auszubauen und zu nutzen. Dem Diakonischen Werk, dem die Räume der "Oase" gehörten, war dieses auch sehr recht, denn zum einen gab es mit Straßenjugendlichen oft Ärger und die Räume selbst litten erheblich unter der Sachbeschädigung. Der damalige Pastor i. R. der St. Paulsgemeinde Gehard Voss, spielte bei der Entscheidung zum Paulskirchenkeller eine zentrale Rolle. Eine kurze Geschichte dazu sei mir hier gestattet: " …. Wer sind eigentlich die Jugendlichen, die da in unseren Keller gehen wollen?" Fragte mich der "alte Voss" - so hieß er damals in der kirchlichen Szene. Die Antwort war mit ein paar Namen aus der Müller- und Von-Thühnen-Str. schnell gefunden: Es waren die Kinder oder Enkelkinder derjenigen Menschen, die er als Pastor in seine Paulskirche holen wollte, die nun ganz von alleine in den Keller der Kirche kamen. Er sagte, nach dem er einige Namen leise wiederholt hatte:  "Den Tisch des Herrn haben sie mir allzu oft verweigert, aber ihre Kinder gehen in unseren Kirchenkeller und erleben Kirche und Glauben ganz anders." Eine wundersame Erkenntnis für uns alle war das. Aber es waren auch noch Andere, die entscheidenden Anteil am Zustandekommen dieses Beschlusses zum PKK hatte. Ich will einige Namen hier heute beispielhaft und der Erinnerung halber aufzählen: Herr Achim Dugge, Krankenhausseelsorger, Peter Voß, damaliger Pastor der Schlossgemeinde und spätere Vorsitzender des Kuratoriums der sozial-diakonischen Jugendarbeit, die St. Paulspastoren Rietzke und Meyer und Küster Schwieger, der kirchl. Baubeauftragte Brüggemann, der Bauingenieur Wenzel, Christian Eggert aus dem Kirchgemeinderat der Paulsgemeinde, Landesjugendpastor Roettig und nicht zuletzt der Landessuperintendent Wellingerhof. Die finanziellen Mittel für diesen Auf- und Ausbau kamen z. T. aus dem Landesjugendankopfer, sie wurden von den Schweriner Gemeinden gesammelt bzw. kamen aus einer namhaften Einzelspende. Jugendliche aus der "Oase" und aus den Jungen Gemeinden Schwerins legten selber Hand an und so konnte im Herbst 1981 der PKK eingeweiht werden. (Dazu werde ich heute Abend im Keller noch einige Geschichten zum Besten geben; wer sie hören und vielleicht über so manches schmunzeln will, möge heute Abend bitte in den Keller kommen.)

Nun könnte ich auch aus dieser Zeit viel erzählen und das ganze Verhältnis zum Staat, zur Stasi, zur Bezirksstadt Schwerin aber zu den kirchlichen Entscheidungsträgern erläutern und darlegen. Unterlagen gibt es dazu genug. Eine Stasioffizier hat seine Diplomarbeit zum PKK und zur Zersetzung der sozial-diakonischen Jugendarbeit des WERGINs geschrieben, es gibt tausende Seiten Stasi- und SED-Akten zu diesem Thema und sicher lassen sich auch in den kirchlichen Archiven viele Seiten zu diesem Thema finden. Wer daran Interesse hat, möchte mich anschließend darauf ansprechen.

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Auch geht die Geschichte natürlich nach 1990 weiter; das neue Jugendhilferecht der Bundesrepublik Deutschland wird eingeführt, die bisherige Evangelische Stadtjugendarbeit und die sozial-diakonische Jugendarbeit spalten sich vielfältig auf und entwickelt sich unter der Geschäftsführung von Wolfram Grafe zu einem anerkannten Träger der freien Jugendhilfe in der Landeshauptstadt. Ich denke, diesen Teil der Geschichten kennen die meisten unter euch noch und er muss hier nicht ausführlich erzählt werden. Zum 100Jährigen wird dazu sicher viel Gelegenheit sein.
 

Zwei Leitsätze möchte ich dennoch aus dem PKK zitieren, die wohl nicht nur für den Keller galten, sondern für ganze Evangelische Jugendarbeit Schwerins. Mir haben diese beiden Leitsätze in meiner Arbeit sehr geholfen:
1. Die erste Bibel in der Jugendlichen lesen sind die Mitarbeiter und die für sie eingerichteten Räume.
2. Sozial-diakonsiche Jugendarbeit ist eine Lebensäußerung unserer Gemeindearbeit.
Der erste Satz ist so simpel wie einleuchtend: Über eine Beziehung und Erfahrung zu einem kirchlichen Mitarbeiter sind die meisten von uns selbst zur Kirche, zur Bibel und zum Glauben gekommen. Überzeugt waren wir nicht sogleich von Fakten und Glaubensgrundsätzen, von Traditionen oder Erlerntem, sondern Menschen und Ihre Haltungen waren für uns überzeugend. Und das gilt bis heute.
Jugendliche haben es nach wie vor verdient, mit Mitarbeitern in der Evangelischen Jugend zu tun haben,
" die eine Beziehung zu ihnen aufbauen und den Jugendlichen nicht als Klienten behandeln,
" die ein offenes Antlitz haben.
" Junge Menschen haben kirchliche Jugendmitarbeiter verdient, die nicht sogleich überfordert sind, Angst haben, oder sich bluffen lassen von Gewalt, Geruch, Aussehen, Hunden oder Haarschnitt,
" die Zeit und Liebe zur Arbeit haben und verbindlich erreichbar sind,
" die mal entschieden NEIN sagen können und sich ansonsten solidarisch mit den Jugendlichen wissen. Auf die man sich verlassen kann.
" Die Jugendlichen haben Mitarbeiter verdient, die wissen, dass sie nicht vollkommen sind und sich selber Rat holen können,
" für die die Professionalität in der Jugendhilfe nur die eine Seite der Medaille ist und die zugleich wissen, dass Engagement   auch Opfer verlangt, Enttäuschung mit sich bringen kann und nicht immer belohnt wird.
" Sie haben Mitarbeiter verdient, die selber wissen, dass Gott sie hält und für ihre Arbeit berufen hat.
So ähnlich verhält es sich auch mit den Räumen die wir schaffen (auch im übertragenen Sinne). Im PKK haben wir stets auf Atmosphäre geachtet: Tischdecken, warmes Essen, freundliche Ansprache, kostenlose Getränke, brennende Kerzen, sauberes Geschirr und sinnvolle Beschäftigung waren ebenso wichtig wie seelsorgerliche Gespräche mit Einzelnen oder Gruppen. Der Raum hat seine eigene Verkündigung.

Der zweite Leitsatz, "… Jugendarbeit ist eine Lebensäußerung unserer Gemeindearbeit." Ist da schon schwieriger, weil er zugleich einen strukturellen und einen theologischen Aspekt beinhaltet. Es tut erst einmal nicht weh und man merkt es eigentlich kaum, wenn junge Leute, dazu noch Jugendliche aus der sozial-diakonischen Jugendarbeit,  in der Gemeindearbeit nicht mehr vorkommen. Das Kirchensteueraufkommen wird nicht sogleich sinken, wenn es keine Jugendarbeit mehr in einer Gemeinde oder einer Propstei gibt. Vielleicht wird es sogar vorerst friedlicher, sauberer, ruhiger und harmonischer im Gemeindehaus. Und auch nur denjenigen Mitarbeitern und Gemeindegliedern wird etwas in der Kirchgemeinde fehlen, die selbst Jugendarbeit erlebt haben und denen die Überalterung unserer Gemeinde Sorge bereitet. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Jugendarbeit der 50ziger und 60ziger Jahre: Die Evangelische Jugendarbeit war Ausgangspunkt und Quelle für viele kirchliche Ausbildungen; kirchliche Jugendarbeit war das Mutterschiff für die Berufsentscheidung vieler junger Menschen. Ist das heute auch noch so? Was tun heute die Kollegen/Innen der Stiftung Evangelische Jugend Schwerins, um Mitarbeiter für die kirchliche Arbeit zu gewinnen? Wer will, dass Jugendarbeit eine selbstverständliche Lebensäußerung der Gemeindearbeit bleibt, muss u. a. auch selber dazu beitragen, dass Pastoren und Gemeindepädagogen ausgebildet werden und junge Leute für die Kirche und den Glauben gewinnen.
 

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Der gute Geist bleibt:
In einer Mitarbeiteraufzählung der Evangelischen Jugendarbeit Schwerin, die ich für diesen Tag versucht habe zu schreiben, fand ich 14 hauptamtliche Mitarbeiter, die unmittelbar nach 1946 hier in der  Evangelischen Jugendarbeit Schwerins bis 1990 tätig waren. Nun könnt ihr die jetzigen Mitarbeiter der Stiftung Evangelische Jugend Schwerin dazurechnen. Das ist schon eine stattliche Anzahl von Menschen, die hier gewirkt und Jugendliche über viele Generationen gebildet und geprägt haben.
Glaubt hier einer im Saal ernstlich, dass wäre ohne Gotte Zutun, ohne einen guten Geist, möglich gewesen?
Wer nun jedoch glaubt, dass ein solcher guter Geist wie ein Geschenk einfach da ist und von alleine wirkt, der irrt. Es ist wie mit einem  Medikament im Medizinschrank,  von allein entfaltet es auch keine Wirkung, es sei denn man nimmt es in sich auf. Oder anders gesagt, die Tatsache, dass ich bei der Stiftung Evangelische Jugend Schwerin arbeite, macht mich noch nicht zu einen guten und engagierten kirchlichen Mitarbeiter; man wird schließlich auch nicht zu einem Auto wenn man in einer Garage arbeitet. Aber was ist es dann? Wann wirkt der gute Geist?

Ich weis darauf nur eine Antwort und die lautet: Wenn ich darauf vertraue und gewiss bin, dass mir in jedem Menschen Gott begegnen kann und wir vor ihm alle gleich sind.
 

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